Die Kennzahl OEE (Overall Equipment Effectiveness) hat sich als Standardmaß für die Produktivität von Fertigungsanlagen etabliert.
Doch obwohl sie weit verbreitet ist, herrscht oft Unsicherheit, was als „guter“ OEE-Wert gelten kann – und ob allgemeine Zielwerte überhaupt sinnvoll sind.
Die Antwort hängt stark vom Produktionskontext, der Anlagentopologie und dem Reifegrad des betrieblichen Verbesserungsprozesses ab. Ein OEE-Wert ist keine Zahl im luftleeren Raum, sondern das Ergebnis technischer, organisatorischer und prozessualer Faktoren.
Ein häufiger Fehler in der Praxis besteht darin, OEE als Benchmark gegen einen fixen Idealwert – etwa 85 % – zu interpretieren. Diese Zahl stammt ursprünglich aus TPM-Lehrbüchern der 1990er Jahre und bezog sich auf hochstandardisierte Serienfertigungen im Automotive-Bereich.
Inzwischen gilt: Ein „guter“ OEE-Wert ist immer kontextabhängig.
In der Massenfertigung mit stabilen Prozessen können Werte über 80 % erreichbar und wirtschaftlich sinnvoll sein.
In der variantenreichen Einzel- oder Kleinserienfertigung sind bereits 50–60 % exzellent, da häufige Produktwechsel, Rüstvorgänge und manuelle Arbeitsschritte strukturell zu niedrigeren Werten führen.
In prozessnahen Industrien (z. B. Chemie, Pharma) können dagegen 90 % und mehr realistisch sein, da Anlagen kontinuierlich laufen und Qualitätsstreuungen gering sind.
OEE dient also nicht als universelles Benchmark-Ziel, sondern als relatives Maß für Verbesserung: entscheidend ist die Veränderung über die Zeit und der Vergleich innerhalb desselben Produktionssystems.
Ein hoher OEE kann unterschiedlich zustande kommen.
Erst die Analyse der drei Teilfaktoren zeigt, warum ein Wert gut ist:
| OEE-Faktor | Bedeutung | Typische Zielgrößen (Richtwert) |
|---|---|---|
| Verfügbarkeit | Anteil der geplanten Produktionszeit, in der die Anlage tatsächlich läuft | 85–95 % |
| Leistung | Verhältnis von realer zu theoretischer Produktionsgeschwindigkeit | 90–98 % |
| Qualität | Anteil der Gutteile an der Gesamtproduktion | 98–100 % |
Ein „guter“ Gesamtwert ergibt sich also nicht aus der Zahl selbst, sondern aus der Stabilität und Balance der Teilfaktoren.
Eine Anlage mit 90 % Qualität, aber 60 % Verfügbarkeit kann denselben OEE aufweisen wie eine mit konstant 80 % in allen Bereichen – betriebswirtschaftlich sind die Situationen jedoch völlig verschieden.
Deshalb gilt: Ein „guter“ OEE-Wert ist einer, der technisch stabil, reproduzierbar und kausal erklärbar ist.
Lesen Sie hier: Wie Sie Ihre OEE gezielt verbessern können
Viele Unternehmen streben hohe OEE-Spitzen an, ohne deren Nachhaltigkeit zu bewerten. Fachlich relevanter ist jedoch die Varianz des OEE-Verlaufs über Zeit.
Eine konstante Linie bei 72 % ist besser als extreme Schwankungen zwischen 90 % und 40 %, weil Stabilität auf beherrschte Prozesse hindeutet.
Diese Sichtweise stammt aus der statistischen Prozesskontrolle (SPC): Nicht der Einzelwert, sondern die Prozessfähigkeit (Cp/Cpk) entscheidet über die Qualität der Fertigungssteuerung.
OEE kann hier als aggregierter Indikator dienen, um Prozessfähigkeit auf Anlagenebene zu messen – und zwar nicht nur täglich, sondern langfristig.
Ein guter OEE-Wert sollte nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit anderen Kennzahlen interpretiert werden:
TEEP (Total Effective Equipment Performance) ergänzt die OEE um ungenutzte Kalenderzeit und zeigt, ob Anlagenkapazitäten ausreichend geplant sind.
MTBF (Mean Time Between Failures) und MTTR (Mean Time To Repair) liefern Detailinformationen zu den Stillstandsanteilen, die hinter der Verfügbarkeit stehen.
OAE (Overall Asset Effectiveness) erweitert den Fokus von der Maschine auf das Gesamtsystem – inklusive Materialfluss, Logistik und Personal.
Ein hoher OEE bei gleichzeitig niedriger TEEP-Auslastung kann etwa bedeuten, dass Maschinen effizient laufen, aber zu selten eingesetzt werden – ein klassischer Fall von Effizienz ohne Effektivität.
Die Aussagekraft eines OEE-Wertes hängt maßgeblich von der Qualität und Granularität der Daten ab.
Manuell erfasste Werte neigen zu Vereinfachungen (z. B. Sammelkategorien „Störung“), die systematische Ursachen verschleiern.
Erst mit automatisierter, ereignisbasierter Datenerfassung auf Maschinenebene lässt sich unterscheiden,
ob Verluste durch
Diese Differenzierung ist entscheidend, um die Wirtschaftlichkeit eines OEE-Wertes korrekt zu bewerten. Ein scheinbar niedriger Wert kann in der Tiefe effizienter sein als ein künstlich „aufpolierter“ Durchschnitt.
Ein guter OEE-Wert ist kein Selbstzweck, sondern ein Indikator für beherrschte Prozesse und realistische Ziele.
Er zeigt, dass:
Verluste systematisch erfasst und priorisiert werden,
Ursachen auf Fakten beruhen und nicht auf Schätzungen,
Verbesserungen dauerhaft Wirkung zeigen, nicht nur kurzfristig.
Das Ziel jeder OEE-Analyse sollte also nicht sein, einen bestimmten Prozentwert zu erreichen, sondern ein reproduzierbares, datenbasiertes Verständnis der Anlagenleistung zu entwickeln.
So wird aus der Kennzahl OEE ein belastbares Steuerungsinstrument – unabhängig von branchenspezifischen Idealwerten.
Weiterführend finden Sie hier unseren Fachartikel zu der Senkung von Produktionskosten durch Verbesserung der OEE
Ein „guter“ OEE-Wert ist kein fixer Benchmark, sondern ein Ausdruck prozessualer Reife und datenbasierter Steuerung.
Er zeigt, dass eine Produktion stabil arbeitet, Abweichungen versteht und Verbesserungen quantitativ belegen kann.
Entscheidend ist daher weniger die Zahl selbst, sondern ihre Aussagekraft, Nachvollziehbarkeit und Konsistenz über Zeit.
Wer OEE richtig interpretiert, nutzt sie nicht als Ziel, sondern als Werkzeug – und gewinnt damit ein präzises, faktenbasiertes Verständnis industrieller Effizienz.